Entschädigungsklagen / Europ.-Richtlinie 2000/78/EG (2023)

A. Die Berufung ist zulässig. Sie ist nach § 64 Abs. 2 lit. C ArbGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Abs. 1 ArbGG; § 519 ZPO.

1. Der Zulässigkeit der Berufung steht insbesondere nicht entgegen, dass der Kläger im Berufungstermin seinem Prozessbevollmächtigten das Mandat entzogen hat. Zwar besteht vor den Landesarbeitsgerichten Vertretungszwang. Postulationsfähig sind nach § 11 Abs. 2 ArbGG nur Rechtsanwälte bzw. Vertreter von Gewerkschaften oder von Vereinigungen von Arbeitgebern oder von Zusammenschlüssen solcher Verbände, wenn sie kraft Satzung oder Vollmacht befugt sind und der Zusammenschluss, der Verband oder deren Mitglieder Partei sind. Dies bedeutet, dass eine Führung des Prozesses durch die Partei selbst ausgeschlossen ist. Erscheint die Partei mithin ohne Prozessvertreter zum Berufungstermin, so ist sie als säumig zu behandeln. Dies gilt indessen nicht, wenn die Partei im Berufungstermin zunächst ordnungsgemäß durch einen Rechtsanwalt vertreten wird und dieser auch zu Beginn der mündlichen Verhandlung - der Prozessordnung entsprechend - die Anträge namens der Partei stellt und erst danach die persönlich anwesende Partei ihrem Prozessvertreter das Mandat entzieht. In einem Anwaltsprozess erlangt die Niederlegung des Mandats bzw. der Widerruf der erteilten Vollmacht durch die Partei erst durch die Bestellung eines anderen Vertreters Wirksamkeit, § 87 ZPO. Entgegen dem engen Wortlaut des § 87 Abs. 1 ZPO gilt dies nicht nur im Verhältnis zum Prozessgegner, sondern auch zum Gericht. Zudem gilt die Regelung des § 87 Abs. 1 ZPO nicht nur für die passive Vertretungsmacht, sondern auch für die aktive Vertretung der Partei (BGH Urt. v. 14.12.1979 - V ZR 146/78 -, NJW 1980, 999; BAG Beschl. v. 08.12.1981 - 7 AZN 441/81 -, AP Nr. 1 zu § 87 ZPO). Dies folgt aus dem Sinn des § 87 ZPO, der darin besteht, einen zügigen Prozessfortgang im Interesse von Gegner und Gericht sicherzustellen (Zöller/Vollkommer, ZPO, 27. Aufl., Rn. 3 zu § 87).

2. Hieran gemessen war der Kläger in der Berufungsverhandlung ordnungsgemäß durch einen Rechtsanwalt vertreten, der auch die Anträge in dessen Namen gestellt hat. Der Kläger hat die Prozessvollmacht erst widerrufen, nachdem sein Rechtsanwalt die Anträge in seinem Namen gestellt hatte. Ungeachtet dessen, entfaltet allein die Kündigung des Mandatsverhältnisses durch die Partei im Außenverhältnis keine Wirkung. Im Außenverhältnis ist der bisherige Bevollmächtigte vielmehr befugt, bis zum Zeitpunkt des Erlöschens der Vollmacht, d.h. bis zur Bestellung eines neuen Prozessbevollmächtigten, die Partei im Prozess weiterhin sowohl passiv als auch aktiv zu vertreten. Da der Kläger mithin in der Berufungsverhandlung im Verhältnis zur Beklagten und zum Gericht ordnungsgemäß durch einen Rechtsanwalt vertreten war, der auch namens des Klägers die Anträge gestellt hat, konnte eine Sachentscheidung ergehen.

A. Die somit zulässige Berufung des Klägers hat auch in der Sache selbst teilweise Erfolg. Die streitgegenständliche Kündigung war nicht gemäß § 1 Abs. 2 KSchG durch verhaltensbedingte Gründe sozial gerechtfertigt (I.). Der Kläger hat unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf bezahlte Freistellung (II.). Das Arbeitsverhältnis war gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen (III.).

I. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts lagen die Voraussetzungen für eine verhaltensbedingte Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG nicht vor.

1. Eine Kündigung aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers i. S. v. § 1 Abs. 2 KSchG ist sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer mit dem ihm vorgeworfenen Verhalten eine Vertragspflicht - in der Regel schuldhaft - erheblich verletzt, das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigt wird, eine zumutbare Möglichkeit einer anderen Beschäftigung nicht besteht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile billigenswert und angemessen erscheint (BAG Urt. v. 13.12.2007 - 2 AZR 818/06 -, AP Nr. 64 zu § 4 KSchG 1969 m. w. Rspr.-Nachw.). Für eine verhaltensbedingte Kündigung gilt dabei das Prognoseprinzip. Der Zweck der Kündigung ist nicht eine Sanktion für eine begangene Vertragspflichtverletzung, sondern die Vermeidung des Risikos weiterer erheblicher Pflichtverletzungen. Die vergangene Pflichtverletzung muss sich deshalb noch in der Zukunft belastend auswirken (BAG Urt. v. 31.05.2007 - 2 AZR 200/06 -, AP Nr. 57 zu § 1 KSchG 1969 ‚Verhaltensbedingte Kündigung‘). Eine negative Prognose liegt vor, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde auch zukünftig den Arbeitsvertrag nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen (ErfK/Oetker 9. Aufl. § 1 KSchG Rn. 197). Deshalb setzt eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraus. Diese dient der Objektivierung der negativen Prognose. Liegt eine ordnungsgemäße Abmahnung vor und verletzt der Arbeitnehmer erneut seine vertraglichen Pflichten, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (ErfK/Oetker aaO. Rn. 199).

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Kläger schuldhaft gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen (a), indessen fehlt es für die Feststellung der negativen Prognose an einer einschlägigen Abmahnung (b).

a) Das Arbeitsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass der Kläger durch die Weigerung, sich am 04.12.2007 amtsärztlich untersuchen zu lassen und die ihn behandelnden Ärzte beim Gesundheitsamt gegenüber der Beklagten von der Schweigepflicht zu entbinden, gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen hat.

aa) Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass § 7 Abs. 2 BAT auf das Arbeitsverhältnis der Parteien keine Anwendung mehr findet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien bestimmt sich seit dem 01.11.2006 kraft einzelvertraglicher Inbezugnahme nach dem den BAT ersetzenden TV-L. § 2 des Arbeitsvertrages nimmt nicht nur auf den BAT selbst, sondern auch auf die diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge in der jeweils geltenden Fassung Bezug. Mit Inkrafttreten des TV-L (§ 39 Abs. 1 S. 1 TV-L) hat dieser mit Wirkung ab dem 01.11.2006 den BAT ersetzt (§ 2 Abs. 1 TVÜ-Länder i. V. m. Ziff. 1 der Anlage 1 TVÜ-Länder Teil A).

bb) Nach § 3 Abs. 5 S. 1 TV-L ist der Arbeitgeber berechtigt, bei „begründeter Veranlassung“ den Arbeitnehmer zu verpflichten, durch eine ärztliche Bescheinigung nachzuweisen, dass er zur Leistung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit in der Lage ist. Diese Untersuchung kann nach § 3 Abs. 5 S. 2 TV-L auch durch einen Amtsarzt erfolgen. Die Tarifnorm ist inhaltlich vergleichbar mit § 7 Abs. 2 BAT, die den Arbeitgeber berechtigte, bei „gegebener Veranlassung“ durch einen Vertrauensarzt oder das Gesundheitsamt die Dienstfähigkeit des Arbeitnehmers feststellen zu lassen (vgl. Breier/Dassau/Kiefer/Thivessen, TV-L, Rn. 137 zu § 3). Da die Rechtsprechung bereits früher an das Merkmal der "gegebenen Veranlassung" in § 7 Abs. 2 BAT strenge Anforderungen gestellt hatte, hat sich die Tariflage durch das in der tariflichen Neuregelung enthaltene Merkmal der "begründeten Veranlassung" nicht wesentlich verändert (LAG Köln Urt. v. 11.06.2008 - 3 Sa 1505/07 -, zit. n. Juris; Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, TV-L, Rn. 333 zu § 3). Die Tarifvertragsparteien haben das in § 3 abs. 5 TV-L geänderte Tarifmerkmal der „begründeten Veranlassung“ ersichtlich den von der Rechtsprechung zu dem Tarifmerkmal „gegebenen Veranlassung“ in § 7 Abs. 2 BAT entwickelten strengen Maßstab angepasst. Die zur früheren Tariflage ergangene Rechtsprechung kann damit weiterhin herangezogen werden. Danach stellt die Weigerung des Arbeitnehmers, an der zulässigerweise angeordneten Untersuchung mitzuwirken, die Verletzung einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht dar, die bei entsprechender Beharrlichkeit nach einschlägiger Abmahnung eine Kündigung, auch eine außerordentliche Kündigung eines tariflich ordentlich nicht mehr kündbaren Arbeitnehmers, rechtfertigen kann (BAG Urt. v. 06.11.1997 - 2 AZR 801/96 -, EzA § 626 BGB n. F. Nr. 171; BAG Urt. v. 07.11.2002 - 2 AZR 475/01 -, NZA 2003, 719, 720; LAG Köln, Urt. v. 17.03.2006 - 4 Sa 85/05 -, zit. n. Juris; LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 05.12.2001 - 2 Sa 63/01 -, zit. n. Juris). Die hierzu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze und Anforderungen hat das Arbeitsgericht in den Entscheidungsgründen unter Ziff. 3. a) zutreffend wiedergegeben. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird hierauf verwiesen. Insbesondere hat das Arbeitsgericht auch zutreffend darauf hingewiesen, dass zu der Verpflichtung aus § 3 Abs. 5 TV-L (vormals § 7 Abs. 2 BAT) nicht nur die eigentliche amtsärztliche Untersuchung zählt, sondern auch die Schweigepflichtentbindungserklärung. Zwar tangiert eine derartige ärztliche Untersuchung stets die Intimsphäre des Arbeitnehmers, die durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützt wird. Andererseits würden aber Grundrechtspositionen des Arbeitgebers (Art. 12 und 14 GG) verletzt, würde nicht sein berechtigtes Bedürfnis auf Information darüber erfüllt, ob lediglich eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit oder eine Erwerbsunfähigkeit des Angestellten vorliegt. Zudem hat der Arbeitgeber bei einer langandauernden Erkrankung auch im Hinblick auf eine vorausschauende Personalplanung ein berechtigtes Interesse, über die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit fachkundlich in Kenntnis gesetzt zu werden (BAG Urt. v. 06.11.1997 - 2 AZR 801/96 -, AP Nr. 142 zu § 626 BGB). Die aus § 3 Abs. 5 TV-L resultierende Verpflichtung zur amtsärztlichen Untersuchung dient gerade dem Erkenntniswert des Arbeitgebers. Dieser Zweck würde durch die Weigerung der dem Amtsarzt gegenüber abzugebenden Schweigepflichtentbindungserklärung zugunsten des Arbeitgebers konterkariert.

cc) Hieran gemessen hat der Kläger am 04.12.2007 schuldhaft seine Pflichten aus dem Arbeitsvertrag i. V. m. § 3 Abs. 5 TV-L verletzt. Der Kläger wendet sich mit der Berufung nicht gegen die Feststellung, dass die Anordnung der amtsärztlichen Untersuchung durch einen begründeten Anlass bedingt war. Der Kläger war zu jenem Zeitpunkt unstreitig bereits nahezu ein Jahr lang arbeitsunfähig erkrankt, ohne auf die Angebote der Beklagten zur Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements reagiert zu haben. Die Beklagte hatte mithin - wie das Arbeitsgericht zu Recht festgestellt hat - ein berechtigtes Interesse daran, festzustellen, ob sie einen weiteren Einsatz des Klägers planen kann. Es bestand mithin gemäß § 3 Abs. 5 TV-L ein begründeter Anlass zur Anordnung der amtsärztlichen Untersuchung.

Entgegen der Auffassung des Klägers war er nicht berechtigt, die amtsärztliche Untersuchung und die damit einhergehende Abgabe der Schweigepflichtentbindungserklärung zu verweigern, weil er den hierfür vorgesehenen Vordruck für zu weitgehend hielt. Mit dem Arbeitsgericht ist auch die Berufungskammer der Auffassung, dass es dem Kläger möglich und auch zumutbar gewesen wäre, durch einschränkende Zusätze den Adressatenkreis der Entbindungserklärung (z.B. Personalabteilung) zu begrenzen. Der Kläger hat sich diesbezüglich nicht in einem unverschuldeten Rechtsirrtum befunden. Er kann sich insoweit nicht auf die zitierte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 06.11.1997 - 2 AZR 801/96 - bzw. auf die dort in Bezug genommene Entscheidung vom 23.02.1967 - 2 AZR 124/66 - (AP Nr. 1 zu § 7 BAT) berufen. Der in der zuletzt zitierten Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt war mit dem vorliegenden in keiner Weise vergleichbar. Der Kläger hat weder vorgetragen noch unter Beweis gestellt, dass er den zuständigen Amtsarzt überhaupt gefragt hat, ob er das Formular benutzen oder eine eigene Entbindungserklärung abgeben könne oder ob er auf dem Formular einschränkende Zusätze machen dürfe. Auch hätte ein klärendes Telefonat mit der Personalabteilung der Beklagten zur Lösung seiner Probleme in Bezug auf die informationelle Selbstbestimmung führen können. Stattdessen hat er seine Mitwirkung an der amtsärztlichen Untersuchung in Gänze und kompromisslos verweigert. Hierzu war er erkennbar nicht berechtigt.

b) Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts rechtfertigt die schuldhafte Verletzung der vertraglichen Nebenpflicht, die aus begründeter Veranlassung erfolgte Anordnung zur amtsärztlichen Untersuchung zu verweigern, keine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Die Kündigung widerspricht dem das gesamte Kündigungsrecht beherrschenden ultima-ratio-Prinzip. Bei einer Pflichtverletzung aus dem Leistungsbereich ist der Arbeitgeber grundsätzlich vor Ausspruch einer Kündigung verpflichtet, den Arbeitnehmer auf die Vertragswidrigkeit seines Verhaltens hinzuweisen und entsprechend abzumahnen. Erst nach Erteilung einer Abmahnung kann im Wiederholungsfalle eine negative Prognose über künftig drohende weitere Vertragsverletzungen gleicher Art getroffen werden.

aa) Die Beklagte kann sich insoweit nicht mit Erfolg auf die dem Kläger am 14.11.2007 erteilte Abmahnung berufen. Hierin hat die Beklagte dem Kläger vorgeworfen, zu der am 06.11.2007 vom Gesundheitsamt anberaumten amtsärztlichen Untersuchung unentschuldigt nicht erschienen zu sein, und zugleich für den Fall angedroht, dass er künftig den dienstlichen Anweisungen nicht Folge leistet und seine Mitwirkungspflichten verweigert, das Arbeitsverhältnis fristlos zu kündigen. Formell handelt es sich hierbei um eine einschlägige Abmahnung, indessen hat die insoweit darlegungs- und beweispflichtige Beklagte weder substantiiert vorgetragen noch unter Beweis gestellt, dass der Kläger jener Untersuchung schuldhaft ferngeblieben ist. Die Versäumung des Untersuchungstermins kann nur dann als schuldhaft angesehen werden, wenn den Kläger auch die Einladung hierzu erreicht hat. Die Beklagte hat nicht zu beweisen vermocht, dass der Kläger zu dem Termin am 06.11.2007 rechtzeitig eingeladen worden ist. Insbesondere weist das an den Kläger gerichtete Schreiben der Beklagten vom 18.10.2007 noch keinen Termin aus. Lediglich in dem Schreiben vom 14.11.2007 teilte das Gesundheitsamt der Beklagten mit, dass es den Kläger „schriftlich am 23.10.2007“ zur Untersuchung am 06.11.2007 einbestellt habe. Das an den Kläger selbst gerichtete Schreiben vom 23.10.2007 befindet sich nicht in der Akte, sodass ein darauf evtl. befindlicher Ab-Vermerk (vgl. Einladungsschreiben vom 14.11.2007, Bl. 35 d. A.) nicht geprüft werden kann. Im Übrigen belegt allein das Absenden eines Schriftstücks noch nicht dessen Zugang. Der Kläger selbst hat bereits in seiner Gegenvorstellung vom 22.11.2007 darauf hingewiesen, dass er die Einladung zu dem Untersuchungstermin erst nach Erhalt der Abmahnung und damit zugleich auch nach dem Untersuchungstermin erhalten habe. Zugunsten des Klägers muss mithin davon ausgegangen werden, dass er von dem Untersuchungstermin am 06.11.2007 aus Gründen, die außerhalb seines Verantwortungsbereiches liegen, keine Kenntnis hatte. Wenn dem Kläger die Einladung zur amtsärztlichen Untersuchung am 06.11.2007 erst nach diesem Zeitpunkt zugegangen ist, so geht die darauf erfolgte Abmahnung ins Leere. Der Kläger hat sein Nichterscheinen nicht zu vertreten.

bb) Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts kann sich die Beklagte nicht auf die zurückliegenden Abmahnungen vom 10.11.2006 und 28.11.2006 berufen. Die diesen Abmahnungen zugrunde liegenden Sachverhalte sind mit dem vorliegenden nicht vergleichbar. In den dortigen Abmahnungen rügte die Beklagte, dass der Kläger trotz Anweisung die von ihm gefertigten Sozialberichte nicht an den zuständigen Oberarzt herausgegeben hatte. Dort ging es mithin um Behandlungsinhalte, vorliegend jedoch in Bezug auf die geforderte Schweigepflichtentbindungserklärung um den Schutz höchstpersönlicher Daten des Klägers selbst ohne direkten Zusammenhang mit der vom Kläger ausgeübten Tätigkeit. Dementsprechend lagen die Voraussetzungen für eine sozial gerechtfertigte Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen mangels einschlägiger Abmahnung nicht vor.

II. Soweit sich der Kläger mit seiner Berufung ebenfalls gegen die Abweisung seines Antrages auf bezahlte Freistellung wendet, ist die Berufung bereits unzulässig. Diesbezüglich hat der Kläger die Berufung weder innerhalb der Berufungsbegründungsfrist noch überhaupt begründet. Eine Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen fehlt. Im Übrigen ist die Berufung aber auch unbegründet. Eine Anspruchsgrundlage für die begehrte Freistellung bis zur Aufnahme eines neuen Arbeitsverhältnisses war von Anfang an nicht ersichtlich. Insbesondere ist der erstinstanzlich erfolgte schlichte Verweis auf die Rechtsvorschrift des § 629 BGB keine tragfähige Begründung für eine dauerhafte Freistellung. Bereits die Überschrift der Norm belegt den Sinn und Zweck der Vorschrift: Freizeit zur Stellensuche. Der Arbeitgeber hat danach den Arbeitnehmer infolge einer Kündigung freizustellen, um sich bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden oder bei einem neuen Arbeitgeber vorzustellen. Hierbei handelt es sich jeweils um kurzfristige Freistellungen. Ungeachtet dessen ist das Rechtsschutzinteresse für die begehrte Freistellung aber auch durch den erfolgreichen Auflösungsantrag der Beklagten (Ziff. III dieser Entscheidungsgründe) entfallen.

III. Auf Antrag der Beklagten war das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung gemäß §§ 9, 10 KSchG aufzulösen.

1. Nach § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG ist das Arbeitsverhältnis auf Antrag des Arbeitgebers aufzulösen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Nach der Grundkonzeption des Kündigungsschutzgesetzes führt eine Sozialwidrigkeit der Kündigung zu deren Rechtsunwirksamkeit und zum Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Das Kündigungsschutzgesetz ist vorrangig ein Bestandsschutz- und kein Abfindungsgesetz. Dieser Grundsatz wird bei einem Auflösungsantrag des Arbeitgebers durch § 9 KSchG unter der Voraussetzung durchbrochen, dass eine Vertrauensgrundlage für eine sinnvolle Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr besteht. Eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses kommt hiernach nur ausnahmsweise in Betracht. An die Auflösungsgründe sind strenge Anforderungen zu stellen (st. Rspr. des BAG, vgl. nur: Urt. v. 02.06.2005 - 2 AZR 234/04 -, AP Nr. 51 zu § 9 KSchG 1969 m. w. N.). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu erwarten ist, ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz. Im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag ist zu fragen, ob in Zukunft noch mit einer den Betriebszwecken dienenden weiteren Zusammenarbeit der Parteien zu rechnen ist. Als Auflösungsgründe für den Arbeitgeber gemäß § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG kommen solche Umstände in Betracht, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen zwar nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Auch kann die bloße Weigerung von Arbeitskollegen, mit einem Arbeitnehmer zusammenzuarbeiten, die Auflösung nach § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG genauso wenig rechtfertigen, wie es dem Arbeitgeber gestattet sein kann, sich auf Auflösungsgründe zu berufen, die von ihm selbst oder von Personen, für die er einzustehen hat, provoziert worden sind (BAG Urt. v. 23.10.2008 - 2 AZR 483/07 -, zit. n. Juris). Umstände, die nicht geeignet sind, die Kündigung sozial zu rechtfertigen, können aber zur Begründung des Auflösungsantrags herangezogen werden, jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber sich noch auf zusätzliche Tatsachen beruft (KR/Spilger, 8. Aufl., Rn. 58 zu § 9 KSchG).

Die Beurteilung der Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG erfordert verfassungsrechtlich eine Abwägung, die der Grundkonzeption des Kündigungsschutzgesetzes als eines Bestandsschutzgesetzes und dem Ausnahmecharakter des Auflösungsbegehrens zureichend Rechnung trägt (BVerfG Beschl. v. 14.01.2008 - 1 BvR 273/03 -, zit. n. Juris). Bei der Anwendung des § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG sind daher die wechselseitigen Grundrechtspositionen des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers zu berücksichtigen und vor allem abzuwägen (BVerfG Beschl. v. 14.01.2008 - 1 BvR 273/03 -, zit. n. Juris; BAG Urt. v. 23.10.2008 - 2 AZR 483/07 -, zit. n. Juris).

2. Die obigen Ausführungen zugrunde gelegt, ist eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer hier nicht mehr zu erwarten. Der Kläger hat in der Vergangenheit kontinuierlich gezeigt, dass er nicht gewillt ist, die Organisationshoheit der Beklagten und Führungskompetenz seiner Vorgesetzten anzuerkennen und den dienstlichen Anweisungen Folge zu leisten. Der Kläger war weder bereit, die Patienten nach dem Willen der Beklagten zu einer Nachbehandlung bei der Kooperationspartnerin der Beklagten, der Fachklinik H..., zu veranlassen noch dem ärztlichen Personal Patientenberichte zur Verfügung zu stellen. Er war nach monatelanger Erkrankung nicht bereit, bei einer amtsärztlichen Untersuchung seiner Mitwirkungspflicht nach § 3 Abs. 5 TV-L nachzukommen. Angebote der Beklagten zum Eingliederungsmanagement blieben ohne Reaktion. Ursache dieser Verweigerungshaltung war nach eigenem Sachvortrag des Klägers, dass er der Beklagten misstraute. Dieses grundlegende Misstrauen betraf nicht nur einzelne Aufgabenbereiche, sondern erstreckte sich auf nahezu alle Interaktionskontakte zwischen den Parteien. Der Kläger zweifelte in dem von ihm selbst zur Akte gereichten Schreiben an seinen Prozessbevollmächtigten vom 29.01.2009 (Bl. 233 ff. d. A.) die Therapiekompetenz des ärztlichen Personals der Beklagten an, warf ihnen grobe Behandlungsfehler vor und behauptete, dass er diese habe vertuschen sollen. Er sah in den dienstlichen Weisungen in Zusammenhang mit dem Kooperationsvertrag unzulässige Eingriffe der Beklagten in die individuelle Entscheidungsfreiheit der Patienten. Zudem befürchtete er im Falle der Abgabe einer Schweigepflichtentbindung bei der amtsärztlichen Untersuchung die missbräuchliche Verwendung seiner persönlichen Daten durch die Beklagte.

In dem an seinen Prozessbevollmächtigten gerichteten Schreiben vom 13.02.2009 (Bl. 241 f. d. A.) erhob er den Vorwurf, Mitarbeiter der Beklagten hätten wiederholt gegen ihn gerichtete Straftaten begangen. Im Nachgang zu dem erstinstanzlichen Verfahren hat der Kläger mit an die Landeskasse gerichtetem Schreiben vom 28.01.2009 (Bl. 203 d. A.) seinem ihm vorgesetzten Oberarzt Verleumdung und Nötigung vorgeworfen sowie die versuchte Anstiftung zur Begehung von Straftaten. Nach eigenem Bekunden des Klägers wurden von ihm entsprechende Strafanträge gegen insgesamt neun Mitarbeiter der Beklagten bei der L... Staatsanwaltschaft gestellt. Die Ermittlungsverfahren wurden allesamt eingestellt. In dem von ihm persönlich eingereichten Schriftsatz vom 30.04.2009 hat der Kläger der Beklagten vorgeworfen, in rechtswidriger Weise seinen dienstlichen Internet- und E-Mailverkehr auszuforschen, Patientenunterlagen während seiner Abwesenheit aus seinem verschlossenen Büro gestohlen zu haben und durch systematisch grobe Behandlungsfehler der Ärzte dazu beigetragen zu haben, dass eine ehemalige Patienten zunächst ihren Sohn in der Badewanne ertränkt und sodann versucht habe, sich selbst das Leben zu nehmen. Die von ihm abverlangte verfassungswidrige Schweigepflichtentbindung habe nur den Zweck, über die so rechtswidrig über ihn erlangten Informationen dann das Bild eines schwer gestörten ehemaligen Mitarbeiters aufzubauen, um die Behandlungsfehler und deren Folgen des ärztlichen Personals vertuschen zu können. Alle diese in Zusammenhang mit der Kündigung stehenden Umstände rechtfertigen insgesamt den Schluss, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Kläger nicht mehr erwartet werden kann. Das Vertrauensverhältnis ist in Gänze und aus Sicht der Kammer irreparabel zerstört. Hiervon geht der Kläger ersichtlich selbst aus. Bereits erstinstanzlich hat er mit Schriftsatz vom 13.07.2008 darauf hingewiesen, dass er ebenfalls davon ausgehe, dass die Vertrauensbasis zerstört sei und seines Erachtens nur die bezahlte Freistellung vom Dienst bis zur Findung eines adäquaten Arbeitsplatzes bei einem anderen Arbeitgeber möglich und zumutbar sei. Hieraus resultiert auch sein unbegründeter Antrag zu Ziff. 2.

3. Das Arbeitsverhältnis war somit nach § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG durch Urteil gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen. Die Höhe der Abfindung ist gesetzlich nicht absolut bestimmt, sondern nur auf einen Betrag bis zu zwölf Monatsverdiensten begrenzt, § 10 Abs. 1 KSchG. Der Grundsatz der Angemessenheit der Abfindungshöhe folgt aus § 9 Abs. 1 KSchG selbst. Der beantragte Abfindungsbetrag in Höhe von EUR 5.000,00 ist gemäß § 10 KSchG auch angemessen. Er liegt geringfügig über dem sogenannten Regelsatz in Höhe eines halben Monatsgehaltes pro Beschäftigungsjahr (LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 17.12.2002 - 2 Sa 415702 -, zit. N. Juris).

IV. Nach alledem war das Urteil des Arbeitsgerichtes abzuändern und der Klage hinsichtlich des Klageantrages zu 1.) wie auch dem Hilfsantrag der Beklagten stattzugeben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO i. V. m. § 64 Abs. 6 ArbGG. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision lagen nicht vor, § 72 Abs. 2 ArbGG.

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Author: Mrs. Angelic Larkin

Last Updated: 18/07/2023

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